Der Bruch

Mit blassem Gesicht saß Talea in der Mensa. “Soll ich dir einen Tee machen? Du siehst nämlich nicht gut aus.”, fragte Thatch. “Das wäre wahnsinnig lieb von dir.”, stimmte Talea dem Vorschlag zu, als sich auch schon Ace gegenüber von ihr an den Tisch setzte. Der Teller, den er vor sich platzierte, war über und über mit gebratenem Speck und Rührei beladen. Noch bevor der Cowboyhutträger seine Gabel in dem Rührei versenken konnte, sprang Talea auf und stürmte aus der Mensa, dabei presste sie sich ihre Hände auf den Mund. “Was hat Tally denn?”, wollte Ace von Thatch wissen, während er sein Frühstück verschlang. “Sie scheint etwas angeschlagen zu sein. Mir ist die letzten Tage schon aufgefallen, dass sie etwas blass um die Nase ist.”, brummte der Koch. “Viefleift follte fie ma auf die Krankenfaftion.”, brachte Ace mühsam mit vollem Mund heraus.
Auf der Krankenstation war indes alles ruhig. Marco saß mit Elena am Schreibtisch und ging die Bestandslisten durch, als Kimel in den Raum geplatzt kam. “Kann mal jemand mitkommen? Tally hängt über der Reling und kotzt sich die Seele aus dem Leib!”, berichtete der Mann mit dem weißen Cowboyhut. Schnell war der Vize aufgesprungen, so dass sein Stuhl nach hinten umkippte und mit einem lauten Krachen auf dem Boden aufschlug. Auch Elena war aufgestanden, sie schnappte sich die Notfalltasche und zerrte Kimel mit an Deck. “Wo ist sie genau?”, wollte die Krankenschwester wissen, wollte sie so wenig Zeit wie möglich verlieren. So führte Kimel sie und Marco ans Ende des Decks, wo Talea kraftlos an die Reling gelehnt da saß. Noch immer war die Grünhaarige sehr blass. Vorsichtig legte Elena ihre Hand auf Taleas Stirn. “Temperatur scheint normal zu sein.”, murmelte sie, während Marco den Puls fühlte. “Puls ebenfalls.” “Mir geht es gut. Wahrscheinlich hab ich nur was Verdorbenes gegessen gehabt.”, versuchte Talea die Umstehenden zu beruhigen. Skeptisch hob Marco die Augenbrauen, sagte aber erst einmal nichts dazu. “Ich bin mir sicher, dass eine Suppe von Thatch dich schnell wieder auf die Beine bringen wird. Zumal sie für einen angeschlagenen Magen leicht verdaulich ist und durch die viele Flüssigkeit dein Wasserhaushalt auch wieder ausgeglichen wird.”, lächelte Elena und streckte Talea die Hand hin, um sie auf die Beine zu ziehen. “Das hört sich doch machbar an.”, dankbar ergriff Talea die Hand und lies sich hoch helfen. Da sie doch etwas unsicher stand, legte Marco ihr fürsorglich den Arm um die Taille und geleitete sie unter Deck. “Ich werde dich erst mal auf die Krankenstation bringen und gründlich durchchecken.”, sprach der Vize, während sich Elena mit den Worten “Ich geb Thatch bescheid, wegen der Suppe” verabschiedete. 
Auf der Krankenstation angekommen, dirigierte Marco seine Freundin zu einer der Behandlungsliegen. “Möchtest du mir nicht sagen, was wirklich los ist?”, fragte Marco, während er sich die Hände desinfizierte. “Du bist ein Phönix, Talea. Du wirst also weder krank, noch würde dir verdorbenes Essen etwas ausmachen. Dennoch bist du seit ein paar Tagen ziemlich blass und ich habe das Gefühl, dass du etwas vor mir verheimlichst.” Geschickt wich die Grünhaarige dem Blick des Vize aus, indem sie überall hin sah, nur nicht zu ihm. “Talea, bitte, ich mach mir doch nur Sorgen um dich.”, versuchte Marco ihr ins Gewissen zu reden. Letzten Endes sah sie ihn doch an und Marco erkannte so etwas wie Unsicherheit in ihrem Blick. Liebevoll strich er mit dem Daumen über ihre Wange, während sie ihren Kopf in seine Hand schmiegte. Tief atmete Talea aus. “Du musst dich nicht um mich sorgen, Marco. Das mir schlecht wird, ist einfach nur eine körperliche Umstellung. Das legt sich bald wieder.”, versuchte es die Grünhaarige zu erklären. Verständnislos blickte der Blonde die Frau vor sich an, dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck zu einer geschockten Fratze. “NEIN!”, rief er und machte ein, zwei Schritte von Talea weg. “Nein!”, wiederholte er nochmals und schüttelte ungläubig den Kopf. “Marco?”, fragte Talea verunsichert. “Du… Du kannst nicht… schwanger sein.” Das waren seine letzten Worte, ehe Marco die Krankenstation im Eilschritt verließ. Zurück blieb Talea, die in Tränen ausbrach.
Bald darauf betrat Elena die Krankenstation und eilte sofort zu der schluchzenden Talea hinüber. “Was ist passiert?”, wollte die Krankenschwester wissen, doch die Grünhaarige schüttelte nur apathisch den Kopf. Es dauerte lange, bis Elena aus Talea heraus bekommen hatte, was vorgefallen war. “Süße, glaub mir. Es war bestimmt nur der erste Schock, der Marco zu dieser Handlung getrieben hat. Gib ihm ein bisschen Zeit, dass er sich mit dem Gedanken anfreunden kann, Vater zu werden.”, versuchte sie zu trösten. Talea, welche die Hände vors Gesicht geschlagen hatte, ließ diese etwas sinken und starrte dabei auf ihre Handflächen, ohne wirklich etwas wahr zu nehmen. “Du hast ihn nicht gehört. Nicht gesehen. Es war, als sei ich das ekelerregendste Geschöpf auf der Welt für ihn.”, flüsterte Talea leise. “Das bildest du dir bestimmt bloß ein. Deine Hormone spielen dir bestimmt nur einen Streich. Marco ist nicht so….”, nahm die Krankenschwester den Vize in Schutz. “Doch. Er war schon einmal so zu mir. Als er dachte Ace und ich wären ein Paar.”, unterbrach Talea Elena, dabei fuhr sie gedankenverloren die Liebeslinie ihrer Hand nach, bis sie zu der schmalen Linie kam, die ihre Liebeslinie kreuzte. “Oh nein!”, hauchte sie geschockt. In all den glücklichen Wochen mit Marco, hatte Talea die Warnung der kleinen Handleserin vollkommen vergessen. Ihre Augen huschten über ihre Handflächen, aber die Lebenslinien und die Schicksalslinie schienen unverändert, sie hörten noch immer mitten in der Handfläche auf. Ein schrecklicher Gedanke machte sich in Taleas Kopf breit. Was, wenn die Trennung von Marco, ihren Tod bedeutete? Unkontrolliert fing sie zu zittern an. “Du wirst schon sehen, es wird alles gut.”, beruhigte Elena sie. “Komm, wir gehen jetzt in die Küche und schauen, ob Thatch was schokoladiges für dich hat. Danach wird es dir schon ein bisschen besser gehen.”
Nachdem Elena mit Talea im Schlepptau in die Küche marschiert war, hatte sich die Grünhaarige kurzerhand auf die Theke gesetzt und ignorierte den bösen und sogleich besorgten Blick, den Thatch ihr zuwarf. “Habt ihr irgendwo, irgendwas mit viel Schokolade?”, wollte Elena wissen und folgte sogleich einem der Köche in die Vorratskammer. Conny, die ebenfalls in der Küche anwesend war, trat neben Talea. “Soll ich dir einen Schnaps holen? Du siehst ziemlich mitgenommen aus.”, fragte sie und machte schon einen Schritt in Richtung des alkoholischen Lagers. “Nein! Kein Alkohol. Nur etwas Schokolade.”, rief Talea entsetzt, war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, Alkohol in der Schwangerschaft zu trinken. “Oh.. Okay.”, irritiert blickte nun Conny zu der Jüngeren, als Elena auch schon wieder im Raum stand, mit einer Tafel Schokolade und diese Talea in die Hand drückte. “Ich muss wieder auf die Station. Wenn was ist, dann komm gleich zu mir.”, verabschiedete sich die Krankenschwester und lies die Grünhaarige in der Küche zurück. Raschelnd packte Talea die Süßigkeit aus und brach eine Rippe der Tafel ab, um dann an der Schokolade zu nagen. Kurzzeitig hatte sie die Befürchtung, dass ihr Magen gleich wieder rebellieren würde, aber dem war nicht so. Mit jedem Bissen, den Talea zu sich nahm, bekam sie wieder mehr Farbe ins Gesicht und auch ihre so düsteren Gedanken wurden lichter. “Magst du drüber reden?”, fragte Conny zaghaft, doch Talea schüttelte nur den Kopf. “Sei mir nicht böse, aber das muss ich erst mit Marco klären, bevor ich darüber reden kann.”, murmelte sie leise. “Das wird schon.”, versuchte die Köchin ihre Freundin aufzumuntern. Langsam rutschte Talea von der Küchentheke hinunter, murmelte noch etwas von “Hoffe du hast Recht” ehe sie die Küche verlies und sich auf die Suche nach Marco machte.
Marco stand auf dem Walkopf und der Wind blies um ihn herum. Seine Gedanken kreisten um Talea und um die Tatsache, dass sie schwanger war. Er hatte ihre Gefühle verletzt, als er einfach so die Krankenstation verlassen hat, dass hatte er deutlich gespürt, auch die Verzweiflung, die sich in der Grünhaarigen breit gemacht hat. “Ich bin nicht dafür gemacht, Vater zu sein.”, redete er sich immer wieder selber ein, als er über das “Problem” nachdachte. Dann kam er zu einem Entschluss.
Als er sich umdrehte, damit er Talea aufsuchen konnte, stand sie bereits vor ihm. Ihre Augen waren geschwollen und rot unterlaufen, vom weinen. Nervös knetete sie ihre Finger. “Talea.”, sprach er ihren Namen gleichzeitig aus, als sie den Seinen nannte. Sie deutete ihm an, dass er zuerst sprechen sollte. Er atmete tief durch, bevor er ohne jegliche Gefühlsregung zu sprechen anfing. “Ein Piratenschiff ist kein Ort, um ein Kind großzuziehen. Deswegen hast du jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder, du lässt mich das Ding wegmachen und kannst bei mir bleiben, oder du gehst von Bord. Auf Sphinx gibt es ein verstecktes Dorf, dort könntest du in Ruhe mit dem Kind leben.” Während er die Worte aussprach, sah Marco Talea nicht an. “Das… Marco!?”, schluchzte Talea verzweifelt und wischte sich die aufkommenden Tränen aus dem Gesicht. “Das kann doch unmöglich dein Ernst sein!?” Schützend legte die Grünhaarige ihre Hände auf den noch flachen Bauch. Talea verstand es einfach nicht, wie Marco nur so kalt sein konnte. “Du willst also ernsthaft, dass ich mich zwischen dir und unserem Kind entscheide?”, wollte Talea ungläubig wissen. “Ja.” Die Antwort des Vize jagte Talea einen kalten Schauer über den Rücken.
Sie standen sich auf dem Walkopf gegenüber, von etlichen Nakamas beobachtet, und es verstrichen Minuten. Minuten, in denen Marco die Grünhaarige genau beobachten konnte, wie sie jedes Für und Wider abwog, sich dabei auf die Unterlippe biss, die Stirn in Falten legte und die Nase kraus zog. Dann war es, als würde eine Wandlung durch Talea gehen. Sie wischte sich die Tränenspur fort und trat dann fest entschlossen an Marco heran. “Da du deine Entscheidung ja bereits getroffen hast, liegt es also nun an mir.”, sprach sie. Dann nahm sie Marcos Hände und legte sie auf ihren Bauch. “Da ist ein neues Leben, was es zu beschützen gilt. Und ich bin fest entschlossen, alles dafür zu tun, damit dieses kleine Wesen leben kann. Im Notfall, auch ohne dich!” Dann lies sie Marcos Hände los, drehte sie sich von ihm weg, wechselte in ihre Phönixform und erhob sich in die Luft. Wie gebannt starrte Marco auf seine Hände, mit denen er das heranwachsende Leben in Taleas Bauch gespürt hatte. Erst als es zu spät war, registrierte Marco, dass die Grünhaarige nicht mehr neben ihm stand. “TALEA!”, schrie Marco ihr noch hinterher, doch der türkisfarbene Phönix hatte die MobyDick schon weit hinter sich zurück gelassen. Gerade, als er sich selbst in die Lüfte schwingen wollte, um ihr hinterher zu fliegen, durchfuhr ihn ein seelischer Schmerz und er griff sich benommen an die Brust. Ein kalter Schauer lief über Marcos Rücken, als ihm bewusst wurde, dass die Grünhaarige sich gegen ihn entschieden hatte und somit das Band, welches sie verbunden hatte, gekappt worden war. “Es tut mir Leid. Es tut mir so wahnsinnig Leid.”, murmelte Marco und eine einzelne Träne rollte ihm über das Gesicht. Er hatte das kleine Leben gespürt, als seine Hände auf Taleas Bauch lagen. Hatte die bedingungslose Liebe gespürt, die von dem bohnengroßen Leben aus ging und die auch ihm galt. Und er hatte in genau diesem Moment gewusst, dass er ein guter Vater sein kann, wenn er dem ganzen nur eine Chance geben würde. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er die Frau, die er über alles liebte, bereits vertrieben gehabt.
Er sank auf die Knie und weinte.