Kapitel 55: Logbucheinträge eines Vize

White Whale, irgendwo auf der Grandline, Ende März

Die Öllampe auf Marcos Schreibtisch flackerte, als er die Zeilen in sein Logbuch nieder schrieb. Und während er das eben erst Geschehene verdaute, drängten sich Erinnerungen von vor etwa zwei Jahren wieder an die Oberfläche.

Wir hatten an der Insel Antora angelegt, als uns schon auffiel, dass etwas anders war. Wo bei unserem letzten Halt noch reges Treiben herrschte, wirkte die Stadt verlassen. Sobald der Gangway gelegt war, stürmte eine Jugendliche an Deck. “Talea?!”, hatte sie hilfesuchend in die Runde gefragt und sich suchend umgesehen, doch nichts als Schweigen hatte ihr geantwortet.

Es dauerte etwas, doch dann erkannten wir in der Jugendlichen das Mädchen Sada, welches auf dem Markt als Handleserin tätig ist und mit der Talea bei unserem letzten Besuch Freundschaft geschlossen hat. Nachdem ich auf Sada zugegangen bin, sind mir ihre Verletzungen aufgefallen. Blaue Flecke, wie Würgemahle, am Hals und den Oberarmen, Schürfwunden an den Hand- und Fußgelenken. “Was ist passiert?”, wollte ich wissen, war es doch stark anzunehmen, dass etwas Schlimmes passiert war.

“Wir brauchen Hilfe, bitte! Die Hälfte aller Männer wurde erschossen und die Frauen und Kinder wurden gefangen genommen.”, flehte Sada und erzählte, wie sie fliehen konnte, aber sie die Anderen zurück lassen musste. “Ich hab versucht Talea auf der Teleschnecke zu erreichen, aber es hat niemand abgenommen.”, schniefte sie und wischte sich die aufkommenden Tränen fort. Ace, der sich nicht mehr zurück halten konnte, trat vor. “Talea ist seit dem großen Krieg nicht mehr bei uns. Sie hat mein Leben gerettet und ihres dafür gegeben”, erklärte der Feuerbändiger und senkte den Blick. Irgendwas an Aces Wortwahl störte mich, aber darauf konnte ich gerade nicht eingehen.

“Wir helfen Sada und den Inselbewohnern, so wie es auch Talea bei unserem letzten Besuch getan hat!”, grollte Pops Stimme über das Deck. Auch er hat sie gleich wieder erkannt. “Und dann, nehmen wir die Insel unter unseren Schutz! Nie wieder soll eine Freundin von Talea leiden müssen!” Unsere Nakama brachen sofort in Kampfgeheul aus und vor Glück weinend, stürmte Sada voran vom Schiff, um uns den Weg zu zeigen.

Der Kampf, wenn man es denn so nennen möchte, mit der gegnerischen Piratencrew, war in wenigen Augenblicken beendet. Gegen eine Kaisercrew hatten sie nicht den Hauch einer Chance. Ein gutes Dutzend der feindlichen Piraten ergab sich ohne Kampf und wurde später sogar von Pops in die Crew aufgenommen. Haruta hat nun die undankbare Aufgabe, die Neuen in die Crew zu integrieren.

Die Einheimischen von Antora kamen zum größten Teil mit dem Schrecken davon. Diejenigen, die einen Angehörigen verloren haben, bekamen Unterstützung von ihren Nachbarn und Sada wurde als Heldin gefeiert, da sie die rettende Hilfe geholt hat.

Bevor wir wieder ablegten, hisste Pops seine Flagge am Hafen und verkündete Lautstark, dass die Insel ab sofort unter seinem Schutz stünde. Die hoffnungsvollen Gesichter, die uns hinterher blickten, taten in der Seele gut und stärkten nur noch mehr den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft. Wir haben das Richtige getan.

Unsere nächste geplante Anlaufstelle ist die Inselgruppe Yoi-Tabi. Dort hat Ace noch eine offene Rechnung zu begleichen, hat er gesagt. Und danach geht es weiter in den EastBlue zu Aces Heimatinsel. Was uns dazwischen noch alles erwarten wird, wird die Zeit zeigen. In der Zwischenzeit wird unsere Familie viele Abenteuer bestehen und weiter wachsen.

Fahrig fuhr sich Marco über die Augen, die verdächtig brannten. Immer wieder tauchte ein Bild vor seinen Augen auf, wie Talea mit Sada und ihren beiden Geschwistern am Hafen von Antora standen. “Sie hat ein gutes Herz und wird bestimmt eine gute Mutter sein.”, hatte Whitebeard gesagt, der die selbe Szene beobachtete, wie Marco. Doch der Vize hatte mal wieder beteuert, dass er kein guter Vater sein würde. In diesem Moment hatte Marco sein Schicksal besiegelt, die Frau zu verlieren, die er über alles liebte, weil er sein Herz verschlossen hatte.

Noch während er so darüber nachdachte, tönte Vistas Ruf “Marine voraus” durch die Gänge. Schnell schlug Marco sein Logbuch zu und machte sich auf den direkten Weg an Deck. Erst nach dem Abendessen fand Marco die Zeit, den Angriff ebenfalls in sein ledergebundenes Buch zu notieren:

Uns hat die Marine angegriffen, nachdem wir wieder auf offener See waren. Während der Auseinandersetzung hat Ace sich dezent im Hintergrund gehalten. Er möchte solange “tot” sein, bis wir seine Heimatinsel erreichen, was noch etwas dauern könnte. Pops respektiert diesen Wunsch, ich kann ihn allerdings nicht nachvollziehen. Immerhin ist Aces Feuerkraft eine unserer besten Angriffsstrategien.

Die Neuen unter Harutas Kommando haben sich sehr gut geschlagen. Verletzte gab es auf unserer Seite keine. Auf der anderen Seite gab es keine Überlebenden, somit auch niemanden, der dem Marine-Hauptquartier Bericht erstatten könnte.

Marco nutzte ein paar Wochen später die Ruhe der Mittagszeit, um eine weiteren kurzen Eintrag in sein Logbuch zu tätigen:

Seit zwei Tagen herrscht Flaute. Kein Lüftchen, keine Brise, kein gar Nichts. Wir sind zum ausharren verdammt, allerdings gibt es eine Person an Bord, die von Minute zu Minute nervender wird, umso länger unsere Reise dauert. Ace! Mal sehen, wie lange es dauert, bis ich ihn an der Rah aufknüpfe oder ihn Kielholen lasse, weil er meine Nerven überstrapaziert hat.

Während Marco schrieb, knallte es ohrenbetäubend im Gang vor Marcos Türe, wodurch er das letzte kleine t-Strichchen extrem in die Länge zog. Mit den Zähnen knirschend stand der Blonde von seinem Schreibtisch auf und ging schnellen Schrittes zur Türe, welche er ruckartig aufriss. Schon zum Donnerwetter ansetzend, starrte der Phönix auf eine völlig rußverschmierte Haruta, welche perplex im Gang saß und ein Paket in den Händen hielt. “Will ich eigentlich wissen, was du da machst?”, fragte Marco, nachdem er seine Stimme wieder gefunden hat. “Ich… ähm… also… eigentlich….”, stammelte Haruta vor sich hin, war sie selbst noch nicht ganz im Klaren, was gerade passiert war. Dann jedoch, als ob sie Marco bewusst wahr nahm, blickte sie ihn eindringlich an. “Das Paket war für dich. Izou hat mich gebeten, es dir zu bringen, weil er keine Zeit hatte.”, sprudelten die Worte nur so aus der kleinen Kommandantin heraus. “Izou?”, fragte Marco und hob skeptisch eine Augenbraue.

Doch noch bevor der Phönix auf die Suche nach dem Kimono-Träger gehen konnte, kam dieser im Eilschritt, gefolgt von Vista, Blenheim und Curiel, in den Gang eingebogen. “Was war das denn gerade für ein Knall?”, wollte Blenheim auch sogleich wissen.

Wortlos zeigte Marco auf die Schachtel in Harutas Händen. “Hey, das ist doch die Schachtel, die ich für Atomos an Marco weiter geben sollte, ich war aber beschäftigt und habe Fossa darum gebeten. Wieso hat Haruta die denn jetzt?”, wunderte sich Curiel. Da wurde Marco hellhörig. “Warte. Du hast die Schachtel von Atomos bekommen, Haruta sagte, sie hat sie von Izou. Von wem kommt die Schachtel denn jetzt?”, wollte Marco wissen und in seinem Kopf ratterte es.

“Ich hab sie von Izou.”, beteuerte Haruta. “Mir hat sie King Dew gegeben, weil ich gerade unter Deck gehen wollte. Da ich aber zum Munitionslager sollte, im Auftrag von Pops, hab ich Haruta darum gebeten, sie dir zu bringen.”, erzählte Izou und legte die Stirn in Falten. “Irgendwas ist hier oberfaul!”, zischte Marco.

Nach etwa einer Stunde hatte Marco die Reihenfolge bis zu Namur an Deck zurück verfolgt. Ihm waren alle Kommandanten gefolgt, die die Schachtel ebenfalls mal in der Hand gehalten hatten.

“Also, Haruta hat die Schachtel von Izou. Der Wiederum hat sie von King Dew. King Dew hat sie von Blamenco bekommen. Der hat sie von Fossa, der sie wiederum von Curiel bekam. Und der hat sie von Atomos. Atomos hat sie von Namur. Und von wem hast du die Schachtel bekommen, Namur?”, wandte sich Marco an den Fischmenschen, den sie an Deck angetroffen hatten. “Na von Ace. Er meinte, du würdest dich darüber sehr freuen.”, gestand der Hai-Fischmensch und zuckte unschuldig mit den Schultern. “Ace.”, zischte Marco, hätte er es sich doch fast denken können, dass dieser Kindskopf dahinter steckte. Und dann, ohne Vorwarnung brüllte Marco los: “Ace! Beweg deinen Arsch sofort hier her, sonst setzt es was!”

Der Gesuchte stand neben Whitebeards Thron und grinste breit vor sich hin. Immerhin kam etwas Action in den langweiligen Tag. Als er jedoch Marcos finsteres Gesicht sah, nahm er schnell die Beine in die Hand und flüchtete, was wiederum ein herzhaftes Lachen des Kapitäns zur Folge hatte. Letzten Endes musste Ace dennoch seine Strafe antreten und den Gang wieder von Ruß befreien.

Es ist Anfang Mai und wir haben Yoi-Tabi erreicht. Nun dauert es nicht mehr lange, bis wir den EastBlue erreichen und dann Aces Heimat-Insel, Dawn, ansteuern.

Da Ace meinte, er müsse hier noch eine Rechnung begleichen und auch, dass hier alles seinen Anfang genommen hat, war ich mehr als neugierig. Genau aus diesem Grund begleitete ich ihn auf die Insel, während Izou und Jozu sich um die Lagerbestände kümmerten und Proviant orderten.

Wie nicht anders zu erwarten, steuerte das Feuerzeug das erstbeste Restaurant an. Doch anders als gedacht, bestellte Ace nicht die komplette Karte rauf und runter, sondern legte dem Wirt nur einen Beutel Gold auf den Tresen. “Für die Zeche, die ich damals geprellt habe”, hat er gesagt und den Laden wieder verlassen.

Wir liefen die Straße entlang, an einem Brunnen vorbei und bogen ab. Mir war fast so, als ob Ace sich hier auskannte. Vor einem Haus, mit bunter Türe, blieb Ace stehen. “Hier hab ich sie kennengelernt, Marco.”, murmelte Ace. Zuerst wusste ich nicht, wen er meinte, doch als ich mir das Haus näher ansah, bemerkte ich ein Schild.

Talea Battersby
Kartografin
geschlossen

“Eigentlich wollte Tally uns gar nicht begleiten, aber ich habe sie solange genervt, bis sie zustimmte, mit uns auf die nächste Insel zu reisen.”, hatte Ace mir anvertraut, während wir wieder zurück zum Schiff gingen. Er erzählte auch, dass sie nur deshalb Piratin geworden ist, weil man ihr innerhalb von drei Tagen ein Kopfgeld verpasst hatte, sonst wäre sie zurück nach Yoi-Tabi gegangen und hätte weiter in ihrem Kartografen-Laden gearbeitet.

“Bevor wir auf das Schafott gebracht wurden, hab ich Tally gefragt, ob sie es bereut, mit mir mitgegangen zu sein.”, erzählte mir Ace. Durch seine Worte wurde mir schwer ums Herz. Ich fürchtete die Antwort, die Talea gegeben hatte und doch war ich neugierig, was sie antwortete. “Sie sagte, sie bereue keine Sekunde der Reise.”, murmelte Ace.

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Hieß das, sie bereute nicht, Piratin geworden zu sein und die See befahren zu haben? Oder bereute sie es nicht, mich verlassen zu haben? Oder ist es ein großes Ganzes, was all das beinhaltet? Anscheinend hatte Ace mir angesehen, dass mich das zum grübeln brachte, denn er fragte gerade heraus: “Was bereust du, Marco?” Die Antwort kam mir schnell über die Lippen. “Das ich nicht um sie, um uns, gekämpft habe.” Zuversichtlich schlug mir Ace auf den Rücken. “Irgendwann werdet ihr Zwei euch wieder gegenüber stehen, dann kannst du ihr genau das sagen. Und auch, dass du sie liebst, dass du gerne der Vater ihrer Kinder sein möchtest und dein Leben mit ihr verbringen willst.”

Mir war zwar bewusst, dass Ace mit dem Grab von Talea gesprochen hat, meinetwegen auch mit ihrem verstorbenen Geist. Aber dass Ace an ein Leben nach dem Tod glaubte, war mir völlig neu. Seine Worte jedoch, linderten den Schmerz und die Leere in meinem Herzen und kurz gestattete ich mir die Hoffnung, sie würde mich mit offenen Armen begrüßen, wenn meine Zeit auf Erden vorüber war. Das Problem an der ganzen Sache war nur, als Phönix lebte ich theoretisch ewig.

Akribisch strich Marco den letzten Satz wieder durch. So negativ wollte er dann doch nicht denken. Außerdem gab es auch für ihn Möglichkeiten zu sterben, doch die wollte er noch nicht in Betracht ziehen.

Um den Kopf wieder freier zu bekommen, wollte Marco etwas fliegen, weshalb er an Deck ging. Die Sonne war bereits am Untergehen, doch das störte den Phönix überhaupt nicht. Er breitete seinen blauen Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte. Und mit dem schwindenden Tageslicht, erblickte Marco die Passage in den EastBlue.