Kapitel 1: In der Winkelgasse
Es war ein warmer Sommertag, Ende August. Nahe des kleinen Fischerdorfes mit dem Namen Blakeney, was in Norfolk an der Ostküste in England lag, ragte eine Landzunge in die Nordsee hinein, auf dessen Steilklippe ein Leuchtturm stand. Der Leuchtturm, der schon lange außer Betrieb war, wurde in ein stattliches Wohnhaus integriert und bot der Familie Bishop seit nun mehr drei Generationen ein Zuhause. Lucinda, die Tochter von Dora und Samuel Bishop, hatte ihr Zimmer ganz oben im Leuchtturm, welches sie durch eine Wendeltreppe erreichen konnte. Im Moment saß Lucinda an ihrem Schreibtisch, vor den hohen Fenstern, und las in dem Buch “Magische Hieroglyphen und Logogramme” als das Rascheln von Federn sie aufblicken lies. Soeben war ihr Rabe Shadow durch eines der offenen Fenster ihres Zimmers hereingeschwebt. Im Schnabel hatte er den Brief von Hogwarts, der die Liste mit den benötigten Schulsachen, für ihr sechstes Schuljahr, enthielt.Ganz oben auf der Liste stand „Festumhang / Kleid“. Ein Schmunzeln umspielte ihre rosigen Lippen. Ihr Vater, der im Zauberei-Ministerium in der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit, tätig war, hatte ihr schon längst verraten, was dieses Jahr in Hogwarts los sein würde. Das Trimagische Turnier. Rein theoretisch könnte sie sogar an dem Turnier teilnehmen, da Lucinda zu Halloween 17 Jahre alt werden würde, und dies der letzte Tag für die Anmeldung zum Turnier war. Dennoch würde sie sich davor hüten, sich anzumelden, hatte sie von den Horrorgeschichten der letzten Trimagischen Turniere gelesen und konnte gut und gerne darauf verzichten, bei so einem Spektakel ihr Leben zu lassen.Neben der Liste lag auch noch ein silberner Anstecker in Form eines Vs in dem Briefumschlag. “Na toll, Vertrauensschüler.”, brummt Lucinda. Normalerweise hätte sie sich über die Aufgabe und das Vertrauen, welches ihr Dumbledore entgegen brachte, sehr gefreut. Dennoch sah sie es dieses Jahr als Bürde. Mussten dieses Mal ja nicht nur die Schüler und Schülerinnen aus Hogwarts beaufsichtigt werden, nein, da kamen dann auch noch die von Durmstrang und Beauxbatons dazu. “Hätte das nicht irgend eine der Fünftklässlerinnen übernehmen können.”, murrte sie, ehe sie von ihrem Turm herab stieg.”Mum! Dad! Die Liste mit den Schulsachen ist gekommen, ich floh in die Winkelgasse!”, rief sie durch das Haus und begab sich zum Kamin im Wohnzimmer um zu flohen. Ein “Viel Spaß!” und “Pass auf dich auf!”, war alles, was sie noch hörte.
Gleichzeitig mit George Weasley, ebenfalls ein Schüler von Hogwarts, kam sie im Kamin des Tropfenden Kessels an. „Entschuldigung.“, murmelte Lucinda, ehe sie aufblickte. „Oh… Einer der Scherzkeks-Zwillinge.“, prustete sie los. „Hexenweib!“, betitelte der Weasley die Junghexe spöttisch. „Danke für das Kompliment.“, lachte sie nur und klopfte sich den Ruß aus den Kleidern. „George!“, ertönte eine Frauenstimme. „Wie kannst du es wagen, das Mädchen zu beleidigen!“ „Aber Mom…“; versuchte George sich zu verteidigen. „Nichts, „Aber Mom“… hast du eine Ahnung, wer sie ist?“, zeterte sie los. „Das ist Lucinda. Eine Klassenkameradin.“, verteidigte sich der Rothaarige weiter. „Was brüllst du denn hier so rum, Bruderherz?“, wollte nun auch Fred wissen, der soeben aus dem Kamin stieg. Dann erblickte der Zwilling die Junghexe. „Hey Lucinda.“, begrüßte er sie und hob dabei die Hand zum Gruß. „Siehst du, dein Bruder hat bessere Manieren als du.“, wetterte Mrs. Weasley weiter. “Entschuldigen Sie, Mrs. Weasley. Aber das ist wirklich nicht Georges Schuld, sondern meine. Ich habe ihn zuerst beleidigt, und das tut mir wahnsinnig Leid.”, mischte sich nun Lucinda in das Gespräch ein. “Aber nicht doch, Liebes. Die Jungs sind manchmal einfach überdreht. Wolltest du auch in der Winkelgasse einkaufen gehen?”, wollte die rothaarige Hexe dann wissen. “Ja, wollte ich. Dieses Schuljahr wird so aufregend.”, freute sich Lucinda schon. “Dann wollen wir dich nicht weiter aufhalten, meine Liebe.”, verabschiedete sich Mrs. Weasley von Lucinda. Diese winkte der rothaarigen Familie noch einmal zu, ehe sie zum Hinterausgang eilte, damit sie endlich in die Winkelgasse konnte.
Bei Madam Malkins Anzüge für alle Gelegenheiten stöberte Lucinda durch die verschiedensten Ballkleider. Bei einem dunkelblauen Chiffon-Kleid mit Herzausschnitt, blieb sie dann hängen. Es war bodenlang, schulterfrei und war vom Oberteil ab mit weißen Kristallen besetzt, die zum Rock hin weniger wurden. “Oh Liebes, das wird dir bestimmt sehr gut stehen.”, sprach Madam Malkins sie an und schob sie mit samt dem Kleid in Richtung Umkleidekabine.Verlegen strich sich Lucinda eine Haarsträhne hinters Ohr, als sie aus der Umkleide heraus trat. “Na komm, dreh dich mal.”, forderte Madam Malkins die Brünette auf, die dieser Aufforderung sogleich nach kam. “Da muss ich wohl noch ein bisschen nacharbeiten.”, murmelte die Hexe und wuselte um die Schülerin herum. Magisch nähte die Mode-Hexe das Kleid einen Ticken enger, dass es an Lucindas Oberkörper wie eine zweiter Haut anlag. “So ist es schon viel besser.”, sprach Madam Malkins und lächelte zufrieden vor sich hin.Zufrieden mit ihrer Kleidwahl, machte sich Lucinda daran, die restlichen Schulsachen zu besorgen. Neben den Schulbüchern kaufte sie auch für ihren Raben Futter und Heiltränke. Als letztes machte sie sich auf zu Ollivanders. Eine helle Glocke ertönte, als Lucinda in das Zauberstab Geschäft eintrat. “Mr. Ollivander, hätten Sie kurz Zeit?”, rief sie in den von Regalen überfüllten Raum. “Ich komme schon.”, tönte es aus dem hinteren Teil des Raumes und dann kam Mr. Ollivander, ein weißhaariger älterer Mann, an die Theke. “Wie kann ich helfen?”, wollte er wissen. “Mein Zauberstab reagiert ab und an nicht mehr.”, schilderte Lucinda ihr Problem und reichte dem Zauberstabmacher ihren Stab. “Rosenholz mit Veela-Haar als Kern, neuneinhalb Zoll. Dieser Zauberstab hat viele gute Zauber vollführt, obwohl Veela-Haar sehr launisch sein kann, wurde aber von einem dunklen Fluch getroffen und verletzt. Ich fürchte, da werde ich nichts mehr machen können. Das Veela-Haar hat sich gespalten und es ersetzen ist unmöglich, da ich mit dieser Kernsubstanz nicht arbeite. … Meine Liebe, Sie brauchen einen neuen Zauberstab, über kurz oder lang, wird dieser Stab seine restliche Magie verlieren. … Mal sehen, was wir Schönes für Sie finden.”, überbrachte Mr. Ollivander die schlechte Nachricht. Seufzend nahm Lucinda es hin. Schon verschwand der Zauberstabmacher zwischen den Regalen. Ein paar Minuten später kam er mit einigen der länglichen Schachteln unter dem Arm wieder. “Vogelbeere mit Drachenherzfaser, zehneinhalb Zoll, starr, aber treu.”, sprach er und reichte der Schülerin den Zauberstab. Aus dem Handgelenk heraus schwang Lucinda den Stab, aber nichts geschah. “Sehr interessant. Vielleicht dann doch eher Weißdorn mit Phönixfeder, zwölfeinviertel Zoll, geschmeidig und mächtig?” Doch noch ehe Lucinda diesen Stab berührte, zuckte sie zurück, hatte es zwischen ihrer Hand und dem Stab geblitzt. “Nun dann, Eschenholz und Einhornhaar. Achtdreiviertel Zoll, schmal und elastisch. Beständig in der Magie. Nur zu, probieren Sie ihn aus.” Aufmunternd sah Mr. Ollivander zu Lucinda. Zaghaft griff sie nach dem schlichten Stab, der nur am Griffstück eine geschnitzte Verzierungen, in Form eines Rautenmusters, aufwies. Wieder schwang sie den Stab und ein glitzernder Funkenregen schoss aus der Spitze des Zauberstabes. “Ja, wunderbar! Mit diesem Zauberstab können Sie wahrhaft schöne Kunstwerke vollbringen.” Lucindads Lächeln wurde immer breiter. “Vielen Dank Mr. Ollivander, der Stab ist perfekt.” “Danken Sie nicht mir, der Stab sucht sich den Zauberer aus, nicht umgekehrt.”
Nachdem Lucinda alle Erledigungen getätigt hatte, gönnte sie sich noch ein Eis bei Florean Fortescues Eissalon. Sie saß an einem Tisch am Fenster und beobachtete die Zauberer, die durch die Winkelgasse streiften. Da entdeckte sie die roten Haare der Weasleys, die sich zwischen all den anderen Köpfen abhoben. Auch wenn man es kaum glauben mochte, Lucinda mochte die Zwillinge irgendwie. Sie war fasziniert von deren Einfallsreichtum, ihrem Geschick beim Entwickeln neuer Scherzartikel und ihrer fröhlichen Art, auch wenn sie ansonsten im Unterricht Störenfriede waren. Und ein wenig beneidete sie die Zwillinge, hatten Fred und George ja noch vier weitere Brüder und eine Schwester. Sie hingegen war Einzelkind und fühlte sich manchmal ziemlich einsam. Seufzend löffelte sie den Rest ihres Eises, ehe sie sich ihre Taschen schnappte und zurück in den Tropfenden Kessel ging.Sie streute ein bisschen Flohpulver in die Flammen des Kamins, welche sofort grün wurden. “Lightcliff”, sprach sie deutlich, als sie in die grünen Flammen trat. Es dauerte einige Minuten, bis sie den Kamin ihres Zuhauses erblickte, doch schon stolperte sie ins Wohnzimmer und hinterließ eine Aschespur auf dem Boden. “Lou? Bist du das?”, wollte ihre Mutter Dora wissen und steckte den Kopf zur Wohnzimmertüre herein. “Du lieber Himmel, wie siehst du denn aus?”, entfuhr es der älteren Hexe. “Der Kamin im Tropfenden Kessel wird anscheinend nicht so oft geputzt.”, zuckte Lucinda mit den Schultern. Laut seufzte Dora Bishop, ehe sie mit einem Schwenker ihres Zauberstabs ihre Tochter, sowie den Fußboden, vom Ruß befreite. “Holly hat dich vorhin im Übrigen versucht, über den Kamin zu erreichen. Warum hast du ihr nicht gesagt, dass du in die Winkelgasse flohst? Sie wäre bestimmt gerne mitgegangen”, den vorwurfsvollen Ton von ihrer Mutter hörte Lucinda direkt heraus. “Ganz einfach, Mum. Holly hat mich mit meinem Freund betrogen. Da werde ich nicht mit ihr shoppen gehen.” “Ihr seid beste Freundinnen. Und ich denke, dass du sie den ganzen Sommer über ignoriert hast, war Strafe genug.” “Hör aber mal auf, Mum! Du tust ja grad so, als hätte sie aus meinem Lieblingsbuch eine Seite heraus gerissen! Aber Holly und Marius haben hinter meinem Rücken Sex gehabt!!! Sie hat mir die beste Freundin, und er den treuen, festen Freund vorgespielt! Die beiden sind für mich gestorben!” Tränen schimmerten in den Augen der Junghexe, als sie wütend und verletzt an ihrer Mutter vorbei stürmte. Kopfschüttelnd sah Dora ihrer Tochter nach, als diese die Wendeltreppe zu ihrem Zimmer empor stieg.
Mit einem “ARGH!” schmiss sich Lucinda mit samt ihrer Taschen auf ihr hängendes Rundbett. Durch den Schwung schaukelte das Bett hin und her. Nachdem sie sich auf den Rücken gedreht hatte, legte sie ihren linken Arm über die Augen und weinte. Ihre Beine hingen über den Rand des Bettes und leicht schubbste sich Lucinda an, dass sie weiter hin und her schaukelte.Leugnen konnte sie es nicht. Natürlich fehlte ihr Holly. Eine 13 Jahre alte Freundschaft kann man nun mal nicht von heut auf morgen einfach vergessen. Und eigentlich war die Beziehung zu Marius letzen Endes auch mehr Schein als Sein gewesen. Dennoch hätte sich Lucinda von ihrer besten Freundin gewünscht, dass sie vorher mit ihr geredet hätte und nicht hinterrücks mit dem Noch-Freund schläft.”Liebling, begleitest du mich zur Quidditch-Weltmeisterschaft?”, wollte ihr Vater wissen und steckte den Kopf durch die Falltüre zu ihrem Zimmer hoch. “Ich hab keine Lust, Dad.”, sprach sie mit gebrochener Stimme. “Dich hier oben im Turm zu verkriechen bringt aber auch nichts und ein bisschen Ablenkung würde dir sicherlich gut tun.”, versuchte es Samuel nochmals. “Hat den ganzen Sommer über aber ganz gut geklappt.”, nuschelte die Brünette. Letzten Endes stimmte Lucinda aber doch zu, ihren Dad zu der Quidditch-Weltmeisterschaft zu begleiten.